Eine würdige Dame alter Schule in Wetzlars Freibad Domblick
Von Staatsanwalt i. R. Dr. Georg Schwarz, Wetzlar
Erst kürzlich erfuhr ich vom Ableben der neunzigjährigen Frau Marie Balser in Darmstadt. Ich kenne keine Frau, die ein so interessantes, reich gesegnetes und bis zum Schluss erfülltes Leben geführt hat wie diese Witwe eines deutschen Generalkonsuls, der von 1909 bis 1948 in China, Schweden, Finnland, Sowjetunion, Mandschurei und Japan für sein Land erfolgreich gewirkt hat.
Meine Frau und ich lernten Frau Balser bei einem befreundeten Hotelier in Gießen kennen. Dieser brachte die alte Dame des öfteren in seinem PKW zum Baden in Wetzlars grüne Lunge, dem Freibad Domblick. An einem heißen Sommertag vor sieben Jahren, im Juli 1975, baten mich zwei Badefrauen im Freibad doch herauszufinden, wer wohl die charmante, alte Dame sei, die sich jetzt im Wasser tummeln würde. Sie war wegen ihres geschmackvollen Kleides, ihres bunten Hutes und ihres gepflegten Make-up aufgefallen. Wir wussten damals selbst sehr wenig von ihr. Sie erzählte uns, dass sie ihr Leben lang gerne geschwommen habe und dass sie die grüne Baumkulisse rings um das Wasserbecken im Freibad Domblick so schätze. Übrigens eine Tatsache, die die Wetzlarer Ehrenbürgerin Frau Dr. Kühn-Leitz von ausländischen Gästen mehrfach bestätigt erhalten hatte. Da die Sommertage warm blieben, erschien die alte Dame auch in den nächsten Tagen wieder. Bei den Gesprächen mit ihr stellten wir fest, dass sie intelligent, gesprächsfreudig und weitgereist war. Erst Jahre später erfuhren wir von ihrem Gießener Bekannten, dass sie bei ihren Badebesuchen in Wetzlar im Juli 1975 bereits 85 Jahre alt war, und dass sie 1958 ein Buch mit dem Titel „Ost- und westliches Gelände“ geschrieben hatte. Erst jetzt – nach ihrem Tode – hatten wir Gelegenheit, ihr fast 200 Seiten langes Buch zu lesen und vieles über ihren Lebenslauf zu erfahren. Der Inhalt des Buches dürfte nicht nur die Badefrauen und Mitschwimmer vor sieben Jahren, sondern auch viele Bürger interessieren.
Aus der Fülle ihres Lebens möchte ich folgendes berichten:
Als Tochter eines Juristen 1890 in Gießen geboren, erlebte sie in ihrer Jugend die friedliche Zeit vor dem 1. Weltkrieg in Darmstadt, wo unter dem kunstsinnigen Großherzog Ernst Ludwig das gesellige Leben blühte. Sie besuchte oft das Hoftheater mit vorzüglichen Wagneropern. 1909 verlobte sie sich mit dem drei Jahre älteren Gerichtsreferendar Karl August Balser, der nach bestandenem chinesischen Sprachexamen am Orientalischen Seminar in Berlin zu Beginn seiner Diplomatenlaufbahn an die Kaiserliche Deutsche Botschaft nach Peking berufen wurde. Sie nutzte die Zeit der Vorbereitung auf ihr künftiges Leben im Ausland. Nach dem Besuch einer Haushaltungsschule bei Kassel lernte sich je sechs Monate in Devonshire die englische und in Lausanne die französische Sprache.
Da ihr Verlobter vor drei Jahren nicht an Heimaturlaub denken konnte, fuhr sie mit ihrem Vater 1911 mit dem Sibirien-Express 14 Tage quer durch das zaristische Russland. In der deutschen Kolonie Tsingtau fand ihre Hochzeit statt. Voller Stolz schreibt sie in ihrem Buch, dass die Deutschen aus dem Fischerdorf einen Badeort mit Villen, Straßen, Markthalle, Missionsschulen für chinesische Kinder, Hospitale, Hotels und Pensionen aus dem Boden gestampft hätten, der von den Feriengästen der ganzen Chinaküste besucht würde. Nach der Versetzung ihres Mannes an das Konsulat Tientsin wohnten sie in dieser chinesischen Hafenstadt, in der die Rikschas das Bild beherrschten. Hier wurde im Mai 1914 ihr erster Sohn Karl August geboren. Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges ordnete das Auswärtige Amt an, dass ihr Gatte als Dolmetscher unabkömmlich in Tientsin bleiben müsse.
Mit den chinesischen Behörden, die er beim Straßenbau und bei der Bekämpfung des Opiumhandels unterstützte, wobei er mit knapper Not einem Attentat entging, arbeitete er sehr gut zusammen. Im Januar 1916 wurde ihr zweiter Sohn Helmut geboren. Mit allen dort wohnhaften deutschen Frauen wurde die Hilfsaktion für die deutschen Soldaten in sibirischer Kriegsgefangenschaft ins Leben gerufen. Von Tientsin aus wurden alle Lager in Sibirien mit Lebensmitteln und Kleidung versorgt. Der Verkehr mit den alliierten Diplomaten hatte längst aufgehört. 1917 wurde China gezwungen, die deutschen diplomatischen und konsularischen Vertretungen nach Deutschland zu evakuieren. Mit Abschiedsgeschenken vieler chinesischer Freunde fuhr ein Sonderzug nach Schanghai. Ein holländischer Dampfer brachte das Ehepaar Balser mit den zwei kleinen Kindern über den Stillen Ozean nach San Franzisko. Nach achttägigem Aufenthalt ging die Fahrt per Zug nach New York. Mit einem norwegischen Schiff über den mit Minen gespickten Atlantik erreichte man die Hafenstadt Bergen. Balsers hatten Glück, denn erst auf der Rückfahrt lief dar Dampfer auf eine Mine und sank.
In der Heimat erlebte Familie Balser den Rübenwinter 1917/1918. Ihr Mann wurde zum Heer nach Frankreich eingezogen. Schon nach sechs Monaten Frontdienst wurde er vom Auswärtigen Amt an die Gesandtschaft nach Stockholm berufen. Da dort Wohnungsnot herrschte, blieb Frau Balser mit den Kindern in Darmstadt. Nach Kriegsende erhielt ihr Mann 1919 eine Einberufung als Konsul an das Deutsche Konsulat in Abo in Finnland. Wieder gab es einen Möbeltransport. Es folgten zwei schöne Jahre. Die Finnen zeigten den Deutschen ihre Sympathie. Die Abendeinladungen endeten oft mit dem Gesang „Die Wacht am Rhein“. Frau Balser schwärmte von den herrlichen Sommern in Finnland. Von Woche zu Woche wechselte die Fülle der wilden Blumen. Bis gegen Mitternacht konnte man im Freien die Zeitung lesen. Das Farbenspiel am Himmel ließ an Schlaf nicht denken. Sie schwamm häufig und fuhr mit den Kindern in Booten in die Schären. Im Mai 1919 wurde in Abo ihr dritter Sohn Christian geboren. Im Winter bei 30 Grad Kälte trieb sie mit den Diplomatenkindern Gymnastik.
Völlig unerwartet wurde ihr Mann 1920 an das Konsulat nach Posen und ein Jahr später an die Gesandtschaft nach Peking versetzt. Per Schiff ging es von Rotterdam mit drei Kindern wieder nach China. Da sie kurz vor der Geburt ihres vierten Kindes stand, durfte sie zur Besichtigung von Singapur nicht an Land. Im März erreichten sie Peking, den magischen Mittelpunkt und das Symbol der vieltausendjährigen Geschichte Chinas, mit der Verbotenen Stadt der Kaiser vieler Dynastien auf dem Drachenthron, mit dem Himmelstempel, dem Sommerpalast und der riesigen Mauer. Im April 1922 wurde ihr vierter Sohn Johannes geboren, der 1980 Botschafter in Budapest und seit kurzem Botschafter in Oslo ist. Bei einem Kaminbrand in Peking verloren sie einen Teil ihrer Habe. Frau Balser schildert anschaulich von Ausflügen in die Schönheiten Chinas, vor allem der Höhlentempel von Lung Men und von Jünkang. Am 01.12.1922 nahm sie mit ihrem Mann am Empfang des diplomatischen Chors als Repräsentanten des Deutschen Reiches an der Hochzeit des letzten chinesischen Kaisers Pu Ji teil, der mit zwei schönen Mandschu-Damen gleichzeitig vermählt wurde. 1925 fühlten sich die kaiserlichen Mandschu-Familien unsicher und suchten Schutz in den ausländischen Niederlassungen. So suchte u. a. auch die Großmutter des letzten chinesischen Kaisers mit ihren Töchtern Zuflucht im Gelände der deutschen Schule. Die alte Dame hatte eine Vorliebe für die Kinder von Ehepaar Balser, die sich bereits chinesisch unterhalten konnten. Frau Balser schreibt, die vier Jahre in Peking von 1922 bis 1926 seien so reich an Erlebnissen gewesen, dass es schwer falle, einen Begriff davon zu geben, was sie ihnen bedeute. Unvergesslich sind ihr die „Peking Abende“, wo Ehepaar Balser mit prominenten chinesischen Professoren, Dichtern und Denkern Werte chinesischer Kultur durch Vorträge und Vorlesungen in sich aufnahmen. Der Blick in die sich erschließende chinesische Geisteswelt war überwältigend. Frau Balser lernte in Peking eine Fülle berühmter Besucher aus aller Welt kennen. Besonders stolz ist sie auf die Begegnung mit dem bedeutenden schwedischen Forscher Sven Hedin, der von seiner großen Expedition nach Innerasien zurückkam, ungeheure Entdeckungen durch die Ausgrabungen an der Seidenstraße gemacht und selbst in der Wüste fast umgekommen wäre. Seine Bücher „Rätsel der Gobi“ und „Durch Asiens Wüste“ wurden damals überall verschlungen. Nach vierjährigem Aufenthalt in Peking wurde ihr Mann 1926 an das Auswärtige Amt nach Berlin versetzt.
Wieder hieß es Abschied nehmen von dem liebgewonnen Peking, vom chinesischen Theater und dem lukullischen chinesischen Essen. Mit vier Kindern wurde die Reise mit dem Sibirien-Express angetreten. Es war ein eigenartiges Gefühl, nach so langer Zeit wieder auf heimischen Boden zu stehen. Von 1926 bis 1929 wohnten sie mit der ganzen Familie in Potsdam und danach in Berlin. Nach dreijähriger Tätigkeit in der Reichshauptstadt wurde ihr Gatte 1929 zum Konsul in Wladiwostok ernannt. So fuhren sie wieder einmal quer durch die Sowjetunion an die Amurbucht im äußersten Nordosten Sibiriens. Ihr Mann war bei den Umzügen von einer erstaunlichen Umsicht. Seine Listen für die große und die kleine Packerei waren bis ins kleinste ausgearbeitet. Das große Umzugsgut ging über See, die Koffer beförderte die Bahn durch Sibirien. Die Packer einer Berliner Firma wurden im Laufe der Jahre zu alten Bekannten. Sie behandelten die Sachen, vor allem die Truhe und die chinesischen Schränke, mit besonderer Vorsicht.
Wladiwostok war 1929 eine moderne Hafenstadt mit einem Völkergemisch von Russen, Chinesen, Koreanern und Japanern. Im Hause einer deutschen Firma war das deutsche Konsulat untergebracht. Im Sommer zogen Balsers auf die Datscha, wie viele Städter, d. h. aufs Land in kleinen Villenkolonien entlang der Amurbucht. Dort wurde geschwommen und Motorboot gefahren. Im Winter gab es Skifreuden und Schlittschuhlaufen. Der deutsche Konsul bekam damals sogar einen Erlaubnisschein zum Befahren der strategischen Straße an der Bucht entlang, die für gewöhnliche Sterbliche bis heute gesperrt ist. Wieder gab es viel prominenten Besuch. Oscar von Miller, der Begründer des Deutschen Museums, und Dr. Diehm mit seinen Leichtathleten auf der Fahrt nach Japan machten Station. Sven Hedin traf wieder einmal ein. Auf die Frage von Frau Balser, warum er ledig sei, erwiderte der große Forscher: „Ich habe immer zu hoch geliebt, Prinzessinnen sogar, Dann zog ich aus, im unbekannte Erdteile zu erforschen und ihnen zu Füßen zu legen!“ – Während des russisch-chinesischen Konflikts erwuchs dem deutschen Konsul eine der unangenehmsten Aufgaben seiner dienstlichen Laufbahn. Er musste die Interessen der Chinesen wahrnehmen. Die Besichtigung der sowjetischen Konzentrationslager, in denen chinesische Kaufleute, Reedereibesitzer, Bauern und Arbeiter interniert waren, brachte die schlimmsten Belastung. Hinzu kam die Trauer um den Tode des dritten Sohnes, der an Meningitis erkrankt war. Da ihr Gatte mit zunehmenden Schwierigkeiten bei den sowjetischen Behörden zu kämpfen hatte, war er froh, dass er 1932 als Konsul nach Harbin in die Mandschurei versetzt wurde.
In den Straßen der Halbmillionenstadt drängten sich die aus den verschiedensten Nationen und Rassen bunt zusammengesetzte Menge. Den Verkehr der Nationen untereinander konnte man sich dort nicht herzlicher wünschen. Hier gab es keine frühen Stunden wie in Peking. Nach dem Essen um 23 Uhr fing der Abend erst an. 1933 stand Harbin durch den Konflikt zwischen Russen und Japanern über die südmandschurische Eisenbahn im Mittelpunkt des weltpolitischen Interesses. Da Banditen darauf lauerten, Europäer zu kidnappen und nur gegen Lösegeld freizugeben, trug Frau Balser dort stets eine Pistole in der Handtasche. 1934 strömten viele deutschstämmige Bauern, und zwar fromme Mennoniten, die schon zur Zeit Katharinas der Großen in Russland angesiedelt worden waren, über die sowjetrussische Grenze in die Mandschurei, weil die Bewirtschaftung von bäuerlichen Betrieben durch das Kolchossystem und die Verstaatlichung des privaten Eigentums unmöglich geworden war. Der deutsche Konsul hatte die Sorge für die Flüchtlinge in Harbin hauptsächlich zu übernehmen. Die Bauern dankten Gott für ihre Rettung und nahmen in rührender Anspruchslosigkeit mit allem vorlieb. Im Frühjahr 1935 meldete sich Sven Hedin abermals auf der Rückreise von einer Expedition in Innerasien in Harbin bei Balsers und blieb drei Tage.
Nach vierjährigem Aufenthalt in der Mandschurei wurde ihr Gatte als Vortragender Legationsrat 1936 an das Auswärtige Amt nach Berlin versetzt. Über Peking, Schanghai und Hongkong ging es auf dem Seeweg mit dem Passagierdampfschiff des Norddeutschen Lloyd, der „Potsdam“, über Manila, Singapur, Kalkutta, Colombo und Port Said bis Genua; von dort per Zug nach Berlin. Im Auswärtigen Amt hatte man ihrem Gatten die Betreuung der reichseigenen Gebäude der deutschen Botschaften, Gesandtschaften und Konsulate übertragen. Sie erlebte die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, den Höhepunkt des deutschen Wiederaufstiegs nach dem 1. Weltkrieg. Frau Balser nahm an einer Festvorstellung des „Lohengrin“ in der Charlottenburger Oper zu Ehren des ungarischen Reichsverwesers Nikolaus von Horthy in Gegenwart des Reichskanzlers Adolf Hitler teil. Sie erstand ein Abendkleid mit tiefem Rückenausschnitt und Schleppe aus französischen Brokat. In ihrem Buch schreibt sie: „Es ist jetzt noch einmal bei Operetten auf der Bühne in Gießen zu sehen!“ Da ihr Gatte Ärger mit dem Außenminister von Ribbentrop bekam, war er froh, dass die Bitte des deutschen Botschafters in Tokio, General Ott, entsprochen wurde.
Im Sommer 1938 wurde er zum Generalkonsul in Kobe ernannt. Wieder ging das große Gepäck über See. Die drei in Beruf und Ausbildung stehenden Söhne hatten drei Jahre Elternhaus in Berlin gehabt. Nun gab es wieder mal Trennung. Schicksal der Diplomaten und Beamten des Auswärtigen Dienstes. Als sich Balsers mit dem Lloyddampfer „Scharnhorst“ in Genua einschiffen, ahnten sie nicht, dass sie bis 1948 in Japan verbleiben müssten. Kobe und Osaka waren die Doppelstädte, in denen ihr Gatte wirkte. Kobe, der Sitz des Generalkonsulats, hatte damals eine Million und Osaka drei Millionen Einwohner. In ihrem Buch schildert sie ausführlich ihre Eindrücke vom japanischen Leben und der hohen Kultur, vom Buddhismus, von klassischen Opern- und Theaterbesuchen, von Geisha-Abenden, von Teezeremonien sowie von ihren Fahrten zur Hauptstadt Tokio, zur alten Kaiserstadt Kyoto, der berühmten Tempelstadt Nara, dem Wallfahrtsort Nikka, vom Wintersport in Shiga, vom Heil- und Thermalbad Arima und den feuerspeienden Vulkanen, u. a. dem heiligen Berg Fudjiyama. Im Frühjahr 1940 kam der Herzog Karl Eduard von Coburg-Gotha als Präsident des Deutschen Roten Kreuzes nach Kobe. Ehepaar Balser ließ es sich nicht nehmen, dem Herzog, einem Vetter des Herzogs von Windsor, der wegen der Heirat mit Frau Simpson auf dem britischen Thron verzichtete, die Schönheit Japans zu zeigen.
Im 2. Weltkrieg konnte Frau Balser, solange der Hitler-Stalin-Pakt gültig war, mehrfach zwischen 1939 und 1942 durch Sibirien nach Hause fahren. Auf ihrer zehnten Sibirienreise erwiderte sie den Besuch beim Herzog von Coburg-Gotha auf dessen Schloss, der Feste Coburg. Dort erlebte sie einen alliierten Bombenangriff. Seit dem Krieg mit der Sowjetunion war die briefliche Verbindung nach Hause über Sibirien abgeschnitten. Ihr ältester Sohn befehligte nach der Rückkehr von eineinhalbjähriger erfolgreicher Kreuzerfahrt auf der „Komet“ durch alle Weltmeere als Kommandant das Torpedoboot 116. Ihr zweiter Sohn fiel als Oberleutnant am 26.03.1945 bei einem Tieffliegerangriff bei Rhade/Westfalen. Im Laufe der Kriegsjahre wurden die Beziehungen der Deutschen in Kobe zu den verbündeten Japanern sehr herzlich. Am 06.08. und am 09.08.1945 wurden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki geworfen. Am 14.08.1945 verkündete Kaiser Hirihito die Kapitulation Japans. Frau Balser hörte im Radio seine ruhige Stimme. Der Tenno sagte: „Wir sind überwältigt. Der Krieg ist zu Ende. Gehe jeder an seinen Platz, suche die Fehler bei sich selbst und tue seine Pflicht!“ – Das Blutvergießen war zu Ende. In Japan gab es nirgends eine Klage, keine Kritik. Wie ein Mann schwenkte das Volk in die Richtung ein, die der Tenno gewiesen hatte. Jeder fand sich mit der Tatsache ab und fing sofort an aufzubauen. Die Freundschaft mit den japanischen Familien bewährte sich besonders, als 1947 alle Deutschen auf Befehl der US-Besatzungsmacht ausgewiesen wurden. In letzter Stunde vor dem Abtransport stellte der amerikanische Arzt fest, dass der Generalkonsul wegen hohen Blutdrucks die Reise durch die Tropen nicht werde durchstehen können. So blieb das Ehepaar unter Hausarrest in ihrem Berghäuschen bis März 1948.
Der Abschied von Japan nach über neun Jahren fiel schwer. Der Bahnhof in Kobe war von vielen Japanern in feierlichen Schwarz überfüllt. Tiefbewegt wurde Abschied genommen. Viele liebe Freunde ließen sie zurück. Am 29.03.1948 bestieg Ehepaar Balser in Yokohama den Clipper. Der Flug führte über Hongkong, Bangkok, Kalkutta, Karatschi, Damaskus und Istanbul nach Frankfurt, wo sie nach 26 Flugstunden landeten. Nach einer Übernachtung in Bad Soden wurden sie von den Amerikanern zur „Durchleuchtung“ nach Ludwigsburg gebracht. Nach einigen Tagen trafen sie dort drei Generationen Balser – eine große Freude! Die Internierung war von kurzer Dauer. Nach vorübergehender Unterbringung bei Verwandten zogen sie im Frühjahr 1949 in ein Dachzimmer nach Darmstadt, wo sich der pensionierte Generalkonsul mit asiatischer Kulturgeschichte befasste. Bei der Volkshochschule hielt er Vorträge über Fernost und bekam schließlich einen Lehrauftrag an der Technischen Hochschule in Darmstadt. Nach einigen Jahren verzog das Ehepaar Balser nach Gießen, um den vaterlosen Enkeln ihres im März 1945 gefallenen Sohnes Helmut nahe zu sein. In Gießen lebten sie sich schnell ein. Am 27.02.1957 starb ihr vorbildlicher Gatte plötzlich an einem Herzinfarkt. Sie blieb in Gießen wohnen und besuchte des öfteren bis zum 85. Lebensjahr das Wetzlarer Freibad Domblick zum Schwimmen. Am 18.01.1978 siedelte sie nach Darmstadt, dem Wohnsitz ihres ältesten Sohnes, eines Hotelkaufmanns, wo sie am 23.05.1980 im Rollstuhl ihren 90. Geburtstag mit ca. 50 Verwandten feiern durfte. Noch im hohen Alter war sie bis zuletzt geistig rege, ehe sie am 16.02.1981 nach einem erfüllten Leben sanft entschlief. Ihr ältester Sohn verstarb nur wenige Monate später.